Paul Brody – tp, fl h,progr, p, voc
Jelena Kuljic – voc
Christian Dawid – cl, bcl,alto sax, voc
Christian Kögel – git, voc
Michael Griener – dr, perc, voc
Martin Lillich – b
Preis der Deutschen Schallplattenkritik!
Hinter allen Worten
Das Rose-Ausländer-Projekt begann als Liederabend für das Deutsche Theater in Berlin.
Danach lagerte ich die Arrangements in meinem Keller, bis sie vom Frühlingsregen und einer Schlammlawine auf die untere Oktave meiner Klaviatur getrieben wurden. Dort lagen sie verstreut zwischen Gedichten von Paul Celan.
Ein Pianist kam zu Besuch, begutachtete das Durcheinander und merkte an, dass dieWanderschaft der Dichterin Rose Ausländer der meiner eigenen Familie entsprach: ausder Ukraine und Rumänien nach Wien und New York. Und beide landeten wir, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, schließlich in Deutschland.
Der Pianist und ich pflückten die schimmelnden Manuskripte auseinander. Jedes Gedichtwar eine kleine Explosion an Inspirationen, rhythmischen und lyrischen, durchtränkt von schrulligem Humor und dem Schmerz über die Vertreibung: Ich war einmal ein Hund/ der Himmlische Hundehüter/ warf mich in die Menschenwelt/ statt ins Hundereich.
Am nächsten Tag durchstöberte ich die Buchläden und stellte fest, dass Rose Ausländerauf deutsch und englisch geschrieben hatte. Nachdem sie sich in ihrer Heimatstadt Czernowitz vor den Nazis in ihrem Keller versteckt hatte, gelangte sie nach New York undverweigerte sich der Sprache ihrer Verfolger. Mitte der 50er Jahre begann sie dann wieder auf deutsch zu schreiben.
Ich selbst kam in den frühen 90ern nach Europa, um Musik zu machen und meine familiären Wurzeln zu erforschen. Meine Mutter war 1939 mit dem Kindertransport ausWien geflohen; im selben Jahr wurde Rose Ausländers erstes Buch verlegt. Ich entdeckte, das mein kulturelles Erbe viel mit der Sprache zu tun hat, die meine Mutter als Kind gesprochen hatte. Nach mehr als zwanzig Jahren in Berlin beschloss ich also, eine CD auf deutsch aufzunehmen, der Sprache meiner Wahlheimat.
Nach den ersten Aufnahmen stellte ich dann aber fest, dass sich mein Zugang zumKomponieren durch meine Experimente mit gesprochener Sprache verändert hatte. Die neuen Inspirationen entstanden aus dem Auftrag, für die Ausstellung „Heimatkunde“ vom Jüdischen Museum Berlin eine Klanginstallation zu komponieren. Dafür führte ichInterviews mit Menschen, die in Deutschland leben,um ihre Vorstellungen von Heimatund Identität zu erkunden. Meine Komposition basiert auf den Transkriptionen dieser Interviews, auf der Melodie und Rhythmik ihrer jeweiligen Sprache, die ich in Musik überführt habe. (soundcloud.com/paul-brody-voice-melody)
Auch Rose Ausländer stellt in ihren Gedichten die Vorstellung von Ort und Identität inFrage. Ich nahm das Risiko in Kauf, den Kompositionsstil während der Produktion zuverändern. Es entstanden neue Aufnahmen miti Sängern, bei denen sie dieGedichte eher rezitierten als sangen, so dass ich die Kompositionen entlang ihrer natürlichen Sprachmelodie entwickeln konnte.
Ich experimentierte weiter mit Musik und gesprochenem Wort und nutzte die langen undkurzen Silben des Deutschen für musikalische Zwischenspiele, um die deutsche Phonetik weiter ins Abstrakte zu treiben. Drei Lieder auf englisch sind inspiriert von Ausländers Lyrik, zwei weitere stammen aus meiner eigenen Feder und eines kommt von der Autorin Carol Scherer.
Angelehnt an Charles Ives´ Tongedichte, Duke Ellingtons Jungle-Musik, an die Beats vonIndiebands und Kinosoundtracks. Klarinette, Gitarre, Schlagzeug, Bass und Streicherbevölkern diese Klangwelt. Die Trompete wandert, wie ein Zeremonienmeister ohne Text, von einer Stimme zur anderen, ein brabbelnder Hofnarr, der Vokale zu Klängen verwandelt, aus Konsonanten Stakkatos formt und damit eine Geschichte durch Töne erzählt.
Press Jüdische Allgemeine